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ÜBER DIESES PROJEKT

Unsere beiden AudioWalks nehmen Sie mit auf eine Reise durch das jüdische Czernowitz und Chişinău und ermöglichen Ihnen, viele der fast vergessenen Orte des jüdischen Lebens in den Städten zu entdecken.

Nutzen Sie unsere Multimedia-Karten und erkunden Sie dabei das Archivmaterial sowie die Familienbilder und persönlichen Geschichten von 21 jüdischen Holocaust-Überlebenden, um einen einzigartigen Einblick in das vielfältige jüdische Erbe dieser beiden europäischen Städte zu erhalten.

Des ehemalige Gebäude des jüdischen Kultur- und Bildungszentrum Toynbee-Halle heute
Des ehemalige Gebäude des jüdischen Kultur- und Bildungszentrum Toynbee-Halle heute

Jüdisches Kultur- und Bildungszentrum Toynbee-Halle

Element 340
Turetskaya St, 10
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Wer in der Turetska oder Türken Straße zwischen den Hausnummern 6 und 16 in den Innenhof schaut, der erblickt ein Gebäude mit orientalisch anmutenden Motiven an der Fassade. Hier war einst das jüdische Kultur- und Bildungszentrum der „Toynbee-Halle“ angesiedelt. Es wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der gleichnamigen Vereinigung errichtet, die sich für die Erziehung und Aufklärung der jüdischen Bevölkerung von Czernowitz einsetzte. Die Idee, derartige Zentren für organisierte Freizeitaktivitäten von Arbeitern zu eröffnen, stammte aus England. In der Habsburger Monarchie wurden die Zentren meist für politische Arbeit in zionistischem Sinne genutzt. So auch die „Toynbee-Halle“ in Czernowitz.

Der Verein war 1912 von Vertretern der zionistischen Bewegung in Czernowitz gegründet worden. Die Studentenvereinigung „Hebronia“ sowie andere zionistische Gruppen beteiligten sich am Aufbau der „Toynbee-Halle“, insbesondere durch die Organisation von Spendenaktionen. Die Hauptfinanzhilfe kam vom Ehepaar Anna und Markus Kisslinger, den Treuhändern der Institution. Das Kultur- und Bildungszentrum des Vereins konnte 1913 eingeweiht werden. Das Gebäude sollte Raum für die verschiedenen Programme des Vereins bieten sowie für unabhängige Einrichtungen. Hier befand sich auch ein Kindergarten, ein Internat sowie die hebräische Schule des Vereins „Safah Ivriah“, bis zur Fertigstellung des „Safah Ivriah“-Schulgebäudes in der heutigen Synagogenstraße 6.

An Feiertagen fanden im großen Saal Veranstaltungen statt, wie sich Sylvia Seegenreich, geboren 1926, in ihrem Centropa-Interview erinnert:

Meine Familie war religiös. […] Zu den Feiertagen trug mein Vater natürlich eine Kopfbedeckung und legte Tefillin an. Den Schabbat haben wir auch gefeiert […]. Zu den Hohen Feiertagen bekamen wir Kinder immer neue Kleider, und die Feiern waren sehr traditionell. In unserer Umgebung gab es ungefähr 15 Shils, also Synagogen. Es war sogar in unserer Nähe eine kleine Shil, da hatten wir Plätze, aber zu den Feiertagen wurde die Toynbee Halle gemietet. Die war sehr groß, und da sind sehr viele hingegangen.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Tätigkeit des Zentrums unterbrochen und erst nach 1918 wieder aufgenommen. In der Zwischenkriegszeit war die „Toynbee Halle“ ein Ort für Vorträge, Kurse, Theateraufführungen und politische Treffen. Die rumänischen Behörden hatten keine Einwände gegen die Arbeit dieses jüdischen Zentrums, da sie zu einer Intensivierung der Auswanderung nach Palästina führte. Die sowjetischen Behörden, die im Sommer 1940 in die Stadt kamen, gingen einen anderen Weg. Zionisten wurden nach Sibirien deportiert, das Gebäude der „Toynbee-Halle“ verstaatlicht und zum Kulturhaus der Eisenbahnarbeiter bestimmt.

Ab 1941 war die „Toynbee-Halle“ Teil des Ghettos. Über die Nutzung in dieser Zeit ist kaum etwas bekannt. Möglicherweise befand sich 1943 eine jüdische Schule in den Räumen.

Nach dem Krieg wurde der Bau der „Toynbee-Halle“ wieder als Kulturhaus für Eisenbahnarbeiter genutzt. 1991 ging das Gebäude in den Besitz der Sieben-Tages-Adventisten über, die das Haus als Gottesdienstraum nutzen. Auf historischen Aufnahmen ist zu erkennen, dass früher in großen Lettern „Jüdische Toynbee-Halle“ an der Fassade geschrieben stand. Heute erinnert am äußeren Erscheinungsbild nichts mehr an die jüdische Vergangenheit des Hauses.

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