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ÜBER DIESES PROJEKT

Unsere beiden AudioWalks nehmen Sie mit auf eine Reise durch das jüdische Czernowitz und Chişinău und ermöglichen Ihnen, viele der fast vergessenen Orte des jüdischen Lebens in den Städten zu entdecken.

Nutzen Sie unsere Multimedia-Karten und erkunden Sie dabei das Archivmaterial sowie die Familienbilder und persönlichen Geschichten von 21 jüdischen Holocaust-Überlebenden, um einen einzigartigen Einblick in das vielfältige jüdische Erbe dieser beiden europäischen Städte zu erhalten.

Bulevardul Ștefan cel Mare in Chișinău
Bulevardul Ștefan cel Mare in Chișinău

Alexandrowskaja-Straße

Element 340
Arcul de Triumf, The Great National Assembly Square
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Das jüdische Leben spielte sich in Chişinău über die Stadt verteilt ab. Ärmere jüdische Familien lebten vornehmlich in der Unterstadt, während reichere Juden in der Oberstadt wohnten. Eine besondere Rolle kam der Prachtstraße der Stadt zu, der Alexandrowskaja-Straße, dem heutigen Bulevard Stephan cel Mare. Hier, im Herzen der Stadt, lebten zahlreiche Juden; hier befanden sich jüdische Geschäfte und Lokale. Sehen und gesehen werden – das machte die Alexandrowskaja aus. Auch für Mitglieder der jüdischen Gemeinde.
Viele Zeitzeugen erinnerten sich in Interviews mit Centropa an die lebendige Flaniermeile, darunter Bella Chanina, die 1923 in Chişinău geboren worden war:

Ich erinnere mich noch gut an das Chişinău meiner Kindheit – es lag da wie ein Schachbrett: Man konnte das Ende einer von Bäumen gesäumten Straße sehen, wenn man an ihrem Anfang stand. Die zentrale Alexandrowskaja-Straße teilte die Stadt sozusagen in zwei Teile: den reicheren oberen Teil und die ärmere untere Stadt, die näher am Fluss Byk lag. In der Oberstadt gab es Häuser und Wohnungen wohlhabender Juden: die Familien Kogan, Shor, Klinger lebten dort. In der Alexandrowskaja-Straße gab es auch viele Geschäfte, die Juden gehörten. Ich weiß nicht mehr, ob sie am Sabbat geöffnet waren. Ich erinnere mich an das Schmuck- und Uhrengeschäft des Juden Nemirovskiy. Seine beiden Söhne, junge, gutaussehende Männer, arbeiteten in dem Geschäft. Als ich 13 Jahre alt wurde, sagten meine Eltern, dass sie kein Geld für ein Fest hätten, mir aber eine Uhr schenken würden. Sie kauften mir eine Armbanduhr im Geschäft Nemirovskiy, die mir viele Jahre gute Dienste leistete.

Die Geschäftsstraße war zudem eine beliebte Wohngegend. Auch die Familie von Ida Voliovich lebte hier, Tür an Tür mit anderen jüdischen – aber auch mit nicht-jüdischen Familien:

Ich erinnere mich an unsere Wohnung in der Alexandrowskaja-Straße Nummer 51а. […] In Chişinău gab es jüdische, russische, griechische und armenische Ladenbesitzer. Der Besitzer unseres Hauses, ein Jude, hieß Danowitsch. […] Unsere kleine Wohnung lag weit hinten im Hof. Sie hatte zwei Zimmer und eine Küche. Es gab eine gemeinsame Toilette im Hof. In unserem Haus lebten jüdische und moldawische Familien. Die Kinder spielten im Hof und gingen nur zum Essen nach Hause. Es gab keine nationale Trennung, soweit ich mich erinnern kann.

Auch Zlata Tkach, geboren 1928, verbindet Kindheitserinnerungen mit der zentralen Straße ihrer Heimatstadt:

Meine Eltern nahmen mich mit in die Konditorei in der Alexandrowskaja-Straße, der Hauptstraße von Chişinău, wo wir ein Eis aßen. Die Alexandrowskaja-Straße war wie die meisten Straßen in Chişinău mit Kies gepflastert. Es fuhr dort eine Straßenbahn und es gab einstöckige Häuser, einige von ihnen waren schön. Viele Geschäfte in der Alexandrowskaja-Straße gehörten Juden.

Neben Geschäften und Lokalen spielte sich rund um die Alexsandrovskaja auch das kulturelle Leben der Stadt ab. Isaac Rozenfain, 1921 in Chişinău geboren, lebte mit seiner Familie in der Alexandrowskaja. Im Centropa-Interview erinnert er sich an Kinobesuche seiner Jugend und an das Flanieren auf der Prachtstraße:

Ich liebte das Kino und wollte Filmregisseur werden. Ich ging oft ins Orpheum an der Ecke Alexandrowskaja und Puschkinstraße, ins Kolosseum an der Podolskaja-Straße und ins Kino Odeon. Ich wollte keinen einzigen Film verpassen. Aber das war ein Problem. Wir waren nicht wirklich wohlhabend und eine Eintrittskarte für einen Gymnasiasten ziemlich teuer. […] Die Schüler des Gymnasiums liebten es, die Alexandrowskaja-Straße, den Broadway unserer Stadt, entlang zu flanieren. Wir liefen von der Gogol- zur Sinadinowskaja-Straße, die sich rechts vom Bahnhof befindet. Wir machten Bekanntschaften, liefen und unterhielten uns.

Das jüdische Leben in Chişinău in seiner etablierten Form nahm mit der Errichtung des Ghettos im Jahr 1941 ein jähes Ende: Es gab nun keine jüdischen Geschäfte mehr in der Alexandrowskaja, weder jüdische Familien in den Häusern noch jüdische Gymnasiasten auf der Straße oder in den Kinos. Auch wenn die Alexandrowskaya Straße nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr den gleichen ehemaligen jüdischen Charakter hatte, lebten jedoch weiterhin tausende Juden in Chişinău und bekleideten zahlreiche Positionen im städtischen Leben. Bis in die 1970er Jahre konnte man auf den Straßen Chişinăus noch Jiddisch hören.

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