Vor dem Zweiten Weltkrieg existierten in Czernowitz über 60 Synagogen, die vom reichen jüdischen Leben der Stadt zeugen. Im sogenannten Tempel, der größten Synagoge vor Ort, traf sich der eher reformorientierte Teil der jüdischen Bevölkerung, während die Groise Shil die Hauptsynagoge der orthodoxen Gemeinden war. Neben dem Tempel und der Groise Shil gab es zahlreiche kleinere Synagogen und Bethäuser, die das religiöse Leben der Juden in Czernowitz prägten, wie im Fall von Iosif Bursuk, geboren 1931:
In der Nähe unseres Hauses in der Gonta-Straße befand sich eine kleine Synagoge. Mein Vater hatte dort seinen eigenen Sitz und wir gingen am Freitagabend sowie am Samstag und an allen Feiertagen zur Synagoge. Ehrenwerte Leute wurden gebeten, vor der Gemeinde aus der Thora vorzulesen. Sie riefen oft meinen Vater auf und manchmal auch mich. Ich konnte bereits auf Hebräisch lesen und der Rabbiner zeigte mir, welchen Text ich lesen sollte. […] Als ich 13 wurde, hatte ich meine Bar Mizwa. Es gab eine große Feier. […] Meine Eltern haben uns nicht wie orthodoxe Juden angezogen oder uns lange Schläfenlocken wachsen lassen. Wir trugen normale Kleidung und weder zu Hause noch draußen eine Kippa oder einen Hut, aber wir wurden als Juden erzogen. Wir haben vor dem Essen gebetet, in der Familie Jiddisch gesprochen, alle Traditionen beachtet und alle religiösen Feiertage gefeiert.
Das Essen spielte im religiösen Alltag der jüdischen Familien eine zentrale Rolle. Carol Margulies, Jahrgang 1921, gewährt uns einen kurzen Einblick:
Am Freitagabend aßen wir verschiedene traditionelle Gerichte. Eines wurde mit Eiern gemacht und war sehr scharf. Aber am häufigsten aßen wir Fisch. In Czernowitz gab es auf dem Gelände der Kirche einen großen Fischmarkt. Außerdem gab es 15-20 Plätze, an denen man Fisch kaufen konnte. Jedes zweite Haus hatte einen eigenen Teich mit lebendigen Karpfen. Freitag abends und samstags aßen alle Fisch. Zu Pessach gab es in der Stadt kein Brot. Denn die meisten Bäcker waren Juden und würden an Pessach kein Brot backen. Also aßen alle Mazze.
Auch in der Familie von Iosif Bursuk war der Sabbat von traditionellen Gerichten geprägt:
Am Freitagabend kochte meine Mutter immer ein festliches Abendessen. Wir hatten immer gutes Essen – aber am Freitagabend war es besonders. Am Sabbat gab es gefüllten Fisch, gefüllten Hühnerhals und Karotten-Tzimmes. Meine Mutter hat immer Challah selbst gebacken und deckte das Challot mit einer Serviette zu, auf der Torah-Zitate standen. Sie zündete zwei Kerzen an und ich erinnere mich an ihr erleuchtetes Gesicht, wenn sie dreimal mit der Hand über die brennenden Kerzen fuhr. Am Samstag durfte weder das Licht angemacht noch das Essen erwärmt werden. Ich erinnere mich, dass unser Nachbar dazu kam und wir kleine Kästen aus Stahl mit Petroleumlampen darin hatten, um die Töpfe mit Essen die ganze Zeit warm zu halten. Mein Vater hat die Kinder gesegnet. Wir sangen während und nach den Mahlzeiten. Meine Eltern gingen am Samstag immer zur Synagoge. Als mein älterer Bruder und ich alt genug waren, nahmen sie uns mit.
Heute bieten nurmehr zwei kleinere Synagogen Raum für religiöses Leben in Czernowitz: Die „Beit Tfilah Benyamin Synagoge“, über lange Zeit das einzige aktive jüdische Gotteshaus überhaupt, und die 2011 eröffnete „Hauptsynagoge der Bukowina“, in deren Gebäude sich auch ein koscheres Restaurant befindet. Die einst größten Synagogen hingegen dienen heute anderer Nutzung: Der ehemalige Tempel im Zentrum der Stadt wird seit langem als Kino genutzt, die Groise Shil ist in Privatbesitz und bietet Raum für kleinere Unternehmen. Mehr Informationen zu den genannten Synagogen finden sich unter den entsprechenden Erinnerungsorten.